Wenn man Kinder hat, wird es früher oder später zum Thema: Wie verhalte ich mich Fremden gegenüber? Wann muss ich vorsichtig sein? Warum gibt es Menschen, die Kinder mitnehmen? Was machen die dann mit den Kindern?
Kann ich meine Kinder alleine draussen lassen? Wo fühle ich als Elternteil mich sicher, wo habe ich Angst?
Wenn meine Kinder (5 und 7) hier bei uns im Quartier, weiter wollen sie selbst noch nicht alleine, draussen sind, habe ich keinerlei Bedenken. Sie kennen sich aus, sie achten die Verkehrsregeln, sie kennen die Nachbarn, sie sind schnell wieder zuhause. Anders sieht es für mich da in grossen Städten aus, speziell an Bahnhöfen. Dort fühle ich mich mit der Menschenmasse derart überfordert und möchte meine Kinder zumindest in Sichtweite haben.
Grade mein Grosser neigt dazu, sich gerne mal etwas zu entfernen und ich muss gestehen, dass ich dabei recht schnell in Panik gerate.

Angst vs. Vertrauen
Doch wie kann ich meine Kinder darauf hinweisen, dass es Menschen gibt, die Kinder mitnehmen wollen, um ihnen weh zu tun? Ich möchte ja, dass meine Kinder mit Vertrauen in die Welt gehen und nicht vor jedem Fremden Angst haben. Und mal ehrlich? Wer von uns ist denn schon mal so einem Menschen begegnet? Die wenigsten von uns wahrscheinlich. Ich jedenfalls nicht. Also stellt sich für mich die Frage, ob die Gefahr überhaupt realistisch ist, dass es sich lohnt, meinen Kindern damit Angst zu machen.
Mein Gefühl sagt erst einmal JA! Ich habe Angst davor, dass sich irgendjemand mein Kind schnappt und ihm dieses unsägliche Leid zufügt. Mir wird schlecht bei dem Gedanken daran.
Also sage ich meinen Kindern, dass es diese Menschen gibt und versuche ihre aufgekommene Angst damit etwas zu mildern, indem ich ihnen sage, wie sie sich in einem solchen Fall verhalten sollen: Laut schreien, schnell weggehen, um Hilfe rufen, zu jemandem gehen und um Hilfe bitten, etc.
Aber so richtig zufrieden bin ich noch nicht damit. Irgendwie bleibt ein komisches Restgefühl. Ich möchte ja trotzdem, dass meine Kinder mit Vertrauen auf andere Menschen zugehen können, dass sie sich sicher fühlen, wenn sie mal ohne Erwachsenen draussen unterwegs sind.
Und dann kam dieser eine Tag, der für uns alle sehr eindrücklich und bewegend war, für den ich im Nachhinein aber sehr dankbar bin:
„Ich habe einen richtigen Kinderdieb gesehen!“
Wir waren mit Freunden in einer grösseren Stadt unterwegs und wollten schnell noch eine Strassenbahn erwischen. Mein Grosser war dabei etwas von uns anderen entfernt. Insgesamt waren wir zwei Frauen und vier Kinder im Alter zwischen 5-8.
Die Strassenbahn fuhr uns vor der Nase davon und ehe wir uns versahen, wurde mein Grosser von einem alkoholisierten Mann angesprochen: „Hast du die Bahn verpasst? Was machst du jetzt? Kommst du mit mir nach Hause?“
Moment!! Hatte ich das eben richtig gehört?? Ja, hatte ich, denn meine Freundin hatte das gleiche gehört und rief meinen Sohn sofort laut zu sich. Dieser entfernte sich nämlich ängstlich rückwärts von dem Mann und somit auch von uns.
Der Mann war nach unserer Reaktion schneller verschwunden, als wir schauen konnten. Zurück blieben wir sechs völlig schockiert und erstarrt. Ist das eben wirklich passiert? Die Kinder und auch wir mussten mit Schrecken feststellen, dass wir nun zum 1. Mal in unserem Leben mit so einem Menschen konfrontiert wurden.
Puh! Ein Glück waren wir dabei. Ein Glück haben wir es mitbekommen. Ein Glück haben wir reagiert.
Und für mich wurde auf einmal klar, worauf es ankommt, wenn ich meine Kinder vor solchen Menschen schützen möchte.

Also was ist wichtig für ein Kind, um sich vor solchen Menschen schützen zu können?
Das innere Bauchgefühl! Ich fragte meinen Sohn, wie es ihm ging, als der Mann ihn angesprochen hatte. Seine Antwort: „Er hat mir Angst gemacht, ich hatte gar nicht richtig verstanden, was er gesagt hat, aber er hat mir Angst gemacht.“
Genau! Merke dir dieses Gefühl, höre IMMER auf dieses Gefühl und vertraue ihm. Wann immer ein Mensch, ob er fremd ist oder ob du ihn kennst, diese Gefühle in dir auslöst, vertraue darauf und gehe weg. Sofort! Geh zu einem Menschen, der dich schützen kann. Ein Mensch, bei dem du ein gutes Gefühl hast. Zu mir, zu Papa, zu Freunden und wenn du alleine unterwegs bist, zu einem Menschen, bei dem du dich sicher fühlst.
Auf seine Intuition zu vertrauen und vor allem sich danach zu richten, hilft uns im ganzen Leben, aber unseren Kindern kann es in so einem Moment das Leben retten!
Wie stärken wir diese Intuition bei unseren Kindern?
- Akzeptiert ihr NEIN! Nur so lernen sie, dass sie ein Recht darauf haben, ihren Körper und ihre Seele zu schützen.
- Wenn dein Kind ein Gefühl äussert, dann nimm es an! Es hat Angst, JA, dann ist das so und es hat seinen Grund, auch wenn er für dich nicht offensichtlich ist. Wenn dein Kind traurig ist, dann hilft es ihm nicht, wenn du sagst, es ist nicht so schlimm. Wenn dein Kind glücklich ist, dann lass ihm sein Glück!
- Du kannst Fragen stellen, durch die sich die Intuition verstärkt: Wo in deinem Körper spürst du dieses Gefühl? Wie fühlt es sich an? Benennt das Gefühl. Hilf deinem Kind so, seine Gefühle und seine Intuition einzuordnen und kennenzulernen.
- Gib deinem Kind die Möglichkeit, der zu sein, der es ist. Nur so wird es genügend Selbstvertrauen aufbauen können, um im Ernstfall seiner inneren Stimme zu vertrauen und nicht etwa den scheinbar netten Versprechungen des „Fremden“ oder vielleicht auch des „Bekannten“.
Für meine Kinder und mich war das ein wichtiger Lernprozess und ich bin unglaublich dankbar dafür, dass wir diese Situation GEMEINSAM durchleben durften und es nicht etwa geschah, als mein Sohn auf sich alleine gestellt war.
Gemeinsam zu schauen, was ist da passiert? Was hat es mit uns gemacht? Wie können wir damit umgehen? Und auch gemeinsam damit abzuschliessen, indem wir eine Meldung bei der Polizei gemacht haben.
Für mich ein Erkennen: Worauf kommt es in so einer Situation an?
Für meine Kinder zu erkennen: Es gibt zwar Menschen, die mir Angst machen, aber ich kann auch auf den Schutz eines Erwachsenen vertrauen!
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