
Wie funktioniert das eigentlich genau?
Wie kann Unterricht in so grossen Klassen in einer Schule überhaupt funktionieren?? Diese Frage ist gestern im Gespräch mit einer Freundin, auch einer Homeschool-Mama, entstanden und wir sind doch recht ins Grübeln gekommen.
Wir sind ein paar Homeschool-Mamas, die in der Schweiz versuchen, ihre Kinder trotz den Vereinbarungsbestimmungen, die es hier gibt, möglichst frei lernen zu lassen. Bzw. versuchen, den Unterricht so zu gestalten, dass die Kinder freiwillig, motiviert und gerne mitmachen. Das ist gar nicht so einfach. Vor allem unser neuster Versuch, eine „Lerngruppe“ zu bilden, d.h. 2-3 Familien die sich 1x/Woche zum gemeinsamen Lernen an einem bestimmten Thema treffen.
Die Kinder sind unglaublich abgelenkt, machen viel Quatsch, rennen einfach davon, wenn es nicht mehr interessant ist, etc. pp. Also wie um Himmels Willen klappt denn das in einer Schulklasse von 20-30 Kindern?
- Sind unsere Kinder durchs Homeschooling so „verwöhnt“, dass sie einfach machen, was sie wollen?
- Wären unsere Kinder in einer Klassensituation genau DIESE Störenfriede, die schliesslich vor die Türe geschickt würden?
- Homeschoolen wir sie etwa deshalb, weil wir wissen, dass unsere Kinder in so einem System nicht klarkommen würden?
- ODER WAS MACHEN WIR FALSCH?
Oder vielleicht, was passiert in der Schule, dass sich die Kinder so anders, ich nenne es jetzt einmal „unfrei“ oder auch „angepasst“ verhalten?
Klar, es gibt in jeder Klasse einen Klassenclown und auch die Träumer sind anwesend. Doch (ich rede jetzt nicht von Klassenstufen mit pubertierenden Jugendlichen – da sieht die Sache doch etwas anders aus) in der Regel, kann sich der Lehrer hinstellen, seinen Unterricht abhalten, die Kinder hören zu oder auch nicht, aber zumindest stört niemand den Unterricht.
Was ist der Unterschied zwischen Homeschoolkindern und den klassischen Schulsystemkindern?
Die Eltern von Homeschoolkindern, zumindest von den vielen, die ich kennenlernen durfte, begleiten ihre Kinder von Anfang an bedürfnisorientiert. Also, das Kind darf so sein, wie es ist, wird von Anfang an in seinem Wesen angenommen, lernt von Anfang an nach seinen Interessen oder der „Unterricht“ wird zumindest seinem individuellen Bedürfnis angepasst. Das Kind muss sich erst einmal nicht verbiegen, unterordnen oder etwas anpassen. Gut oder schlecht? Ja, das muss jeder für sich selbst wissen. Ich persönlich freue mich immer an diesen freien, lebenslustigen, neugierigen Kindern, die vor nichts zurückschrecken und ihre Ziele so voller Elan versuchen zu erreichen.
Kinder, die in die Schule gehen, sind in der Regel, spätestens ab Kindergartenalter in einer Situation, in der sie sich einen Grossteil des Tages an die Vorgaben der Erzieher anpassen müssen, sich entweder tatkräftig gegen andere Gleichaltrige wehren müssen oder lieber dazu übergehen, sich unterzuordnen. Gordon Neufeld schreibt in seinem Buch „Unsere Kinder brauchen uns!“ davon, dass wenn Kinder in einer Gleichaltrigensituation sich selbst überlassen sind, sich entweder zu Tyrannen oder Opfern entwickeln.
Dann haben wir natürlich den Lehrer und dieser arbeitet ja in unserem System nach dem Bestrafungs-Belohnungs-Modell. Ja es gibt sogar manche Lehrer, meist die netten, sympathischen, die die Kinder mit Bestechungsversuchen, wie Süssigkeiten oder sogar Geldgeschenken (Ja, ihr lest richtig!!), versuchen, zum Lernen zu animieren. Irgendeine Motivation braucht schliesslich jeder. Dann gibt es natürlich die strengen, autoritären Lehrer, die allmächtig ihre Noten durch die Gegend schleudern und so bei nicht wenigen Kindern Schweissausbrüche und Übelkeit hervorrufen.
Rebellion oder Anpassung
Aber was genau geschieht mit unseren Kindern in so einer Situation? Wenn es nicht über kurz oder lang richtige „Probleme“ bekommen will, wird es sich anpassen. An den Lehrer und dessen Bedingungen, aber auch an die hierarchischen Strukturen unter den anderen Kindern. Wir alle wissen, wie schnell man in einer Schulsituation zum Mobbingopfer wird. Oft braucht es dazu nur einen einzigen, winzigen Fehler, wo man unachtsam gehandelt hat. Das kann echt ganz schön heftiger Stress sein für eine Kinderseele…
Also ja, ich bin sehr dankbar, dass ich mit meinen Kindern diesen „anderen“ Weg gehen darf. Das mein Kind zumindest, was das Lernen betrifft, weitestgehend sich selbst folgen darf und sich nicht an ein System anpassen muss, welches nur funktioniert, weil es alle individuellen Bedürfnisse, die nicht ins Schema passen, unterdrückt.
Zu unserer Lerngruppensituation: Ja, es ist erst mal schwieriger, allen gerecht zu werden und sich immer wieder den Kopf zu zerbrechen, wie man das ganze so gestalten kann, dass es die Kinder begeistert. Es ist ok, wenn es nicht immer klappt. Es ist in Ordnung, wenn sich unsere Kinder nur zu einem gewissen Grad anpassen müssen und nicht hin bis zur Selbstaufgabe und Resignation. Es ist schön, Kinder heranwachsen zu sehen, die sich selbst folgen, denn so wissen sie immer, was sie wollen und wohin sie gehen werden.
Ich kann mich noch so schmerzhaft daran erinnern, als ich mit knapp 20 meine Schulzeit beendet hatte, Abitur in der Tasche, aber keine Ahnung vom Leben und noch weniger von mir selbst.
Und dann sehe ich meine Kinder an, wie sie von klein auf wissen, was sie irgendwann einmal werden möchten und ehrgeizig ihre Ziele verfolgen.
Ich weiss, dass es auch Kinder gibt, die sehr gerne zur Schule gehen, ich weiss, dass es nur für wenige Eltern machbar ist, ihre Kinder aus dem Schulsystem zu nehmen. Ich weiss, wie schwierig das für viele ist.
Aber was ihr tun könnt, um eure Kinder durch diese Zeit zu begleiten, ist, sie NIEMALS sich selbst zu überlassen. Ihnen beizustehen und vor allem hinter ihnen zu stehen. Hinter ihnen als Menschen, hinter ihren Erfolgen aber vor allem hinter ihren Fehlern. Ihnen die Möglichkeit geben, wenigstens im restlichen Familienalltag die sein zu dürfen, die sie sind. Auch wenn das bedeutet, dass ihr den Frust, der sich in der Schule angestaut hat, aushalten müsst.
Viele Eltern empfinden sich als Handlanger der Schule. Sie müssen dafür sorgen, dass die Kinder die Hausaufgaben machen, dass sie gute Noten schreiben. Doch seid ihr das wirklich? So hat die Schule doch nicht nur eure Kinder fest im Griff, sondern die ganze Familie. Überlasst es doch den Lehrern, eure Kinder so zu motivieren, dass sie die Hausaufgaben machen. Steht hinter euren Kindern!! Hinter ihrem eigenen Weg. Geht mit euren Kindern in Beziehung und macht euch auf die Suche nach dem Grundproblem. Das ist schwierig, ich weiss, aber bedenkt bei allem immer: Euer Kind hat sich diese Situation NICHT ausgesucht.