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Sozialisierung bei Kindern

Wie ist das eigentlich mit der Sozialisierung?

Eine grosse Frage, die eigentlich IMMER im Zusammenhang mit dem Thema Homeschooling/Freilernen/Unschooling, etc. auftaucht. Werde die Kinder so nicht isoliert, es fehlt ihnen doch an sozialen Kontaktmöglichkeiten, wenn sie nicht in den Kindergarten oder in die Schule gehen.

Zuerst einmal behaupte ich, dass JEDER Mensch mit einem natürlichen Bedürfnis nach Kontakt auf die Welt kommt. Wenn wir es genau betrachten, sogar mit einem sehr grossen Bedürfnis nach Kontakt, denn ein Baby fühlt sich in körperlicher Nähe zu seinen Bindungspersonen sicher und geborgen. Verwehrt man ihm diesen Kontakt, tauchen Ängste und Selbstzweifel auf.

Mit der Zeit und je nach Alter verlagert sich dieses Bedürfnis nach körperlicher Nähe immer mehr nach einem Bedürfnis des verbalen Kontaktes und des Austauschs. Doch was dabei erhalten bleibt, ist der Wunsch nach Beziehung. So wie wir in unseren ersten Lebensjahren den Körperkontakt zu unseren Bezugspersonen brauchen, brauchen wir auch später eine Art von Beziehung, um mit anderen in Kontakt zu treten. Wir würden wahrscheinlich eher selten wildfremde Menschen, die uns sogar vielleicht noch unsympathisch sind, auf der Strasse ansprechen und in Kontakt mit ihnen treten. Selbst wenn wir notgedrungen fremde Menschen wegen der Uhrzeit oder des Weges ansprechen, suchen wir uns ganz klar einen Menschen aus, der uns sympathisch ist, also in unser Beziehungsmuster passt.

 

Wie ist das also im Kindergarten und in der Schule?

Wenn unsere Kinder nun in den Kindergarten und in die Schule gehen, verlangen wir aber genau das von ihnen: Zumindest in der Anfangszeit sitzen sie mindestens den halben Tag Personen gegenüber, die ihnen völlig fremd sind. Der eine Lehrer schafft es vielleicht, eine Beziehung zu seinen Schülern aufzubauen. Der andere legt gar keinen Wert darauf.

Was macht man also nun in dieser Situation: man sucht sich Gleichgesinnte und beginnt sich an den gleichaltrigen Mitschülern zu orientieren. Gordon Neufeld schreibt in seinem Buch „Unsere Kinder brauchen uns“ sehr eindrücklich darüber, was bei der Gleichaltrigenorientierung geschieht: Eine Aufspaltung in Tyrannen und Opfer. Sprich, da gibt es diejenigen, die bestimmen und die anderen, die sich unterordnen. Was aber noch viel wichtiger ist, ist, dass die Bezugspersonen plötzlich nur noch Gleichaltrige sind, und es immer schwieriger wird, auch Beziehungen zu Erwachsenen aufzubauen bzw. sie aufrecht zu erhalten.

Nicht nur ich vertrete die Meinung, dass Sozialisierung eben nicht (nur) unter Gleichaltrigen stattfindet, sondern im Leben: In der Familie, mit Freunden, mit Menschen jeden Alters.

 

Also isoliere ich meine Kinder, wenn ich sie zuhause lernen lasse?

Nein! Sie haben mehrmals in der Woche die Möglichkeit, sich mit Kindern verschiedenen Alters auszutauschen, zu spielen, zu erkunden. Sie nehmen am täglichen Leben teil. Das heisst, sie gehen einkaufen, kommen dort mit Menschen in Kontakt, sprechen mit den Kassierern, etc. Unterwegs begegnen sie verschiedenen Berufsgruppen: Bauarbeitern, Briefträgern, Gärtnern, etc. Sie interessieren sich für all diese Menschen und gehen in Kontakt, stellen Fragen, wenn sie etwas wissen möchten. Sie erleben quasi das Berufsleben vieler Menschen, auch das ihrer Eltern hautnah mit.

Sie können in Vereine, und lernen auch dort, mit den jeweiligen Regeln umzugehen. Sie suchen den Kontakt zu anderen, zu Kindern wie zu Erwachsenen. Gehen auf Fremde zu, lernen auch hier einzuschätzen, wer sympathisch ist oder nicht. Sie lernen Umgangs- und Gesprächsregeln.

Und findet Sozialisierung nicht auch ein bisschen alleine statt, also in ruhigen Momenten, in denen wir nur mit uns selbst sind und reflektieren können, was sich alles ereignet hat?

Die Geburtstage unserer Kinder sind natürlich immer sehr besondere Tage, an denen sie am liebsten alle, die sie kennen und gerne haben einladen möchten. Dazu gehören Kinder jeden Alters, die Verwandten, aber auch erwachsene Freunde, die sie über uns Eltern kennen und schätzen gelernt haben.

Also für mich findet Sozialisierung im Leben statt. Mit allen Menschen, die dazu gehören. Mit Freunden, Fremden, Sympathischen und Unsympathischen. Mit verschiedenen Ländern und Kulturen. Mit dem Umgang mit Tieren und mit unserer Umwelt. Mit allem, was das Leben so für uns bereit hält. Auch wir „Erwachsenen“ dürfen in dieser Form täglich dazulernen durch alles, was uns begegnet.